Heute war ich beim Chirurgen. Alles gut – die Wunde ist fast geheilt und der erst gestern entdeckte blaue Fleck über den ganzen Bereich des Oberschenkels ist das Zeichen eines Muskelfaserrisses. Fäden gezogen. Läuft.
Ja !
Beim Fliegen war genügend Zeit, um ein Resümee zu ziehen. Ich habe die Pilgerreise nicht wegen einer spirituellen Erleuchtung gemacht. Trotzdem bietet das Pilgern genügend Zeit, über wichtige und unwichtige „Sachen“ nachzudenken beziehungsweise sie zu erleben. Es sind viele Kleinigkeiten, welche sich wie eine Mosaik mit der Zeit zu einer immer größeren Selbsterkenntnis zusammenfügen. Folgendes ist mir jetzt bewusst geworden:
1. Ich werde wieder Pilgern.
2. Das Tragen aller zum Leben notwendigen Sachen auf dem Rücken macht frei und unabhängig von dem Zwang der Vergleiche.
3. Alle Leute sind sich gleich – auf dem Weg gibt es keine Vorurteile. Ich bezeichne manche Leute als alternativ, wenn ich sie sehe und mit der Erscheinung oder dem Lebensstil nicht klarkomme. Ab heute werde ich es nicht im abwertenden Sinne tun.
4. Die Zeit ist unwichtig, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Auf dem Weg gibt es Zeitangaben in Tagesreisen. Z.B.: Er ist ein Tag zurück oder zwei Tage im Voraus. Das ist eine wahre Erleichterung in der heutigen eng getakteten Welt.
5. Das Ziel ist genauso wichtig wie der Weg dahin.
6. Es zählt, dass ich das Ziel erreiche. Es ist unwichtig, wann es geschieht.
7. Jede Begegnung, jedes Gespräch ist wichtig. Die Leute, welche ich getroffen habe, haben mich unglaublich mit ihren Ansichten und Lebensgeschichten bereichert.
8. Es ist schön, zu zweit den Weg zu gehen.
9. Jeder, dem ich unterwegs begegne, kann meine Hilfe brauchen oder ich selbst kann seine Hilfe gebrauchen.
10. Als es mir nicht gut ging, war immer Hilfe dabei. Nicht nur meine Frau, sondern auch ein fremder Mann, der plötzlich und unerwartet da war. Seit dem glaube ich, dass sich Engel auf dieser Welt befinden. Manche sind immer dabei, manche kommen unerwartet.
11. Jeder von uns kann ein Engel für den anderen sein. Wieso nicht ich?
12. Das Übernachten in einer Herberge mit mehreren fremden Leuten ist nicht schlimm und ist sogar angenehm, wenn sie sich alle mit Respekt begegnen. Ich habe mehrere Lektionen Respekt gelernt.
13. Eine Nacht für 6 € in einem Saal mit 20 Personen ist genauso erholsam wie eine für 150 € in einem Hoteldoppelzimmer. Nur die Umstände sind anders.
14. Ein Lächeln öffnet das Herz und den Mund des anderen.
15. Das Äußere eines Menschen ist nicht das, was er sein will, sondern spiegelt seinen bisherigen Lebenslauf. Viele sehnen sich nach einer Änderung.
16. Der Pilgerweg ist mit Pfeilen ausgeschildert. Wenn ich mich daran halte, komme ich ans Ziel. Die Erfahrung, der vor mir Laufenden, hat den Weg so geführt, wie er ist. Ich kann auf diese Erfahrungen bauen oder verzichten. Die Entscheidung liegt bei mir selbst.
17. Ich habe neue, persönliche Grenzen kennengelernt. Auch wenn ich wollte konnte ich verletzt nicht wandern, obwohl ich mir nichts anderes gewünscht habe. Das zu akzeptieren ist für mich eine gute Lektion für die weiteren Lebensjahre.
18. Auch wenn die Folgen eines Unglücks / Unfalls / Krankheit im ersten Moment schlimm aussehen, es gibt immer Hoffnung auf eine positive Wendung. Und Glaube an diese Wende kann Bergen versetzen oder sie zumindest gerade fürs bequeme Wandern machen.
19. Das Leben und auch das Pilgern ist nicht linear. Mathematisch gesehen ist es auch nicht mit einer eindeutigen Funktion der Zeit darstellbar.
20. Wenn ein Plan schief geht, soll ich immer über mehrere Pläne B nachdenken. Diese Auswahl an Plänen bietet eine positive Perspektive und gibt mir eine Wahlmöglichkeit. Wenn ich zwischen Alternativen wählen kann, fühle ich mich frei und nicht an mein Schicksal gebunden.
21. Pläne B bereichern manchmal mehr als der ursprüngliche Plan A. Wieso nicht gleich quer denken?
22. Es gibt mehrere Alternativen zwischen sich Totstellen oder Weglaufen bei einer Gefahr, z.B. wenn dir zwei halbmenschengroße, freilaufende Hunde im tiefen Wald begegnen. Eine gute Alternative ist gemütlich weitergehen. Und die Hunde verschwinden. Angst ist kein guter Ratgeber.
23. In einer gewohnten Umgebung fällt mir jede Änderung sehr schwer. In einem fremden Land bin ich für Experimente und das Ausprobieren einer neuen Lebensweise absolut offen.
24. Das Leben ist nicht die Summe vom dem, was ich besitze, sondern die Summe von dem, was ich erlebt habe.
25. Ich kann auch mit einer Handykamera fotografieren. Es muss nicht immer die schwere Spiegelreflexkamera sein. Mit dem Handy ist die Integration zum Bloggen einfach.
26. Es macht mir Spaß, einen Blog jeden Tag zu schreiben. Die dort beschriebenen Erinnerungen bleiben für mich, meine Familie und Freunde für lange Zeit erhalten.
27. Erinnerungen auf das Erlebte bereichern mein Leben. Nur wenn sie in einer Form „konserviert“ sind, können sie mit dazugehörigen Bildern beim Bedarf abgerufen und geteilt werden. Sonst geraten sie immer mehr in Vergessenheit.